Hier findet ihr das PDF der Redical Times Gegen Integration und Ausgrenzung (Juni 2011). Unten ist der Leitartikel der Ausgabe zu lesen.
Kultur und die Kulturalisierung sozialer Konflikte
MigrantInnen und ihre Kinder sind eine „vergrabene
Bombe“ und sie machen die Armutsstatistik kaputt
(Stern-Chefredakteur Hans-Ulrich Jörges). Sie können
nicht mehr als Obst und Gemüse verkaufen und Kopftuchmädchen
produzieren (Thilo Sarrazin, SPD). Sie vernichten
den Wohlstand (Udo Ulfkotte, Pax Europa), ihre
Religion ist gewalttätig und macht sie zu Machos (Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Kristina Schröder). Sogar eine Bierkrise in Bayern haben
sie verursacht (Bayerischer Brauereibund).
Menschen mit Migrationshintergrung sind also zahlreichen
Verunglimpfungen ausgesetzt, die sich vielfach
auf ihre vorgestellte Kultur beziehen.
Dieser Form kultureller Stereotypisierungen liegt ein
bestimmter Kulturbegriff zu Grunde: Einerseits wird
Kultur als Gegensatz zur Natur gesehen. Keineswegs
würden sich KulturalistInnen als (biologistische) RassistInnen
sehen. Gleichzeitig wird Kultur als statisch und
nicht durch die Einzelnen veränderbar gedacht. Sie ist
homogen und gilt für alle Mitglieder eines vorgestellten
„Kulturkreises“. Diese „Kulturkreise“ sind klar definier-
und voneinander abgrenzbar. Teilweise werden
sie als unvereinbar wahrgenommen, so beispielsweise
bei radikalen VertreterInnen der These vom „Kampf der
Kulturen“. Dabei ist der Kulturbegriff jedoch dynamisch
genug, um die rassistischen Grundlagen von In- und Exklusion
zu verschleiern. Für die Zuschreibung kultureller
Stereotype und Rassismen verwenden wir den Begriff
„Kulturalisierung“ statt des allgemein gebräuchlichen
„Kulturalismus“, um den prozesshaften-temporalen Gehalt
dieser diskursiven Praxis hervorzuheben.
How to build a culture
Der essentialistische Kulturbegriff hat seine Wurzeln im
Entstehungsprozess des europäischen Nationalismus im
19. Jahrhunderts. In Abgrenzung zu den Nationalismen
der jeweils anderen Staaten wurde einer Nation eine
gemeinsame Kultur unterstellt. Die Kolonialisierung
durch die europäischen Mächte und die Auseinandersetzung
mit der Sklaverei in den USA führten zu einer Definition
von minderwertigen und primitiven Kulturen. Der
Begriff entstand also keineswegs aus grundlagenwissenschaftlichem
Erkenntnisinteresse, sondern muss als Reaktion
auf neue Gegebenheiten verstanden werden. Kultur
diente sowohl als Selbstversicherung nach Innen im
Sinne eines nationalen Selbstbewusstseins gegenüber
anderen europäischen Staaten und gegenüber den Kolonialisierten,
als auch der Optimierung der Ausbeutungsverwaltung
von vermeintlich „minderentwickelten“ Kulturen.
Im Sinne einer „white mans burden“ (Bürde des
Weißen Mannes) sah man sich sogar in der Pflicht, aus
der eigenen Überlegenheit heraus die Kolonisierten zu
erziehen und ihnen Zucht und Ordnung im Rahmen einer
Zivilisierung beizubringen, die „richtige“ Kultur eben.
Sie können jedoch niemals endgültig zu Angehörigen
der „höherwertigen Kultur“ werden, sondern werden
immer „Kopien“ bleiben, weil ihre eigene Kultur in ihnen
verhaftet bleibt. Der innere Zusammenhang kann ihnen
nicht verständlich werden.
Diese essentialistische Sichtweise von Kultur gilt
zwar in der modernen Ethno- und Kulturwissenschaft
als überholt. Dennoch wurde in der Öffentlichkeit nach
dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit dem
Ende der Systemkonkurrenz 1993 massenhaft Samuel
Huntingtons These vom Kampf der Kulturen stark rezipiert.
Die alte Einteilung in gute KapitalistInnen und
böse KommunistInnen war passé, der Kapitalismus
hatte gesiegt, doch Friede wollte
nicht einkehren. Huntington behauptete,
ein überhistorisches
Wesensmerkmal kollektiver
Zugehörigkeit sei die Kultur.
Nach dem „Ende der Geschichte“
(Fukuyama) würden
die Konfliktlinien dann
nicht mehr zwischen den USA
und ihren Verbündeten
und der Sowjetunion,
sondern
zwischen „dem
Westen“ und den
anderen „Kulturkreisen“
verlaufen.
In Anlehnung an den
Geschichtsphilosophen Oswald
Spengler, der mit
der „konservativen Revolution“
Vordenker
für die Nazis wurde,
fürchtete er den Untergang
des Abendlandes. Er sah die Hegemonie des Westens durch
Dekadenz und Verfall „westlicher Werte“ in Gefahr. Einzige
Möglichkeit sei eine stringente Durchsetzung westlicher
Werte und Normen durch starke Sicherheits- und
Ordnungspolitik. Obwohl es natürlich unterschiedliche,
mit den verschiedenen angeblichen Kulturkreisen verbundene
Bedrohungen gibt (man denke beispielsweise
an die Angst vor einer Übernahme des Weltmarkts durch
China, die von Huntington auch besonders hervorgehoben
wurde), kristallisiert sich der postulierte Gegensatz
zwischen islamischer Welt und Westen als besonders
konfliktgeladen und kulturell stereotypisiert heraus.
Deshalb, und weil im Moment besonders muslimische
Menschen in Europa mit kultureller Stigmatisierung zu
kämpfen haben, fokussieren wir uns hier besonders auf
dieses Phänomen. Der Islam gilt dabei als dem Westen
feindlich gesonnen und kann nach dem 11. September
2001 als Rechtfertigung jeglicher außenpolitischer kriegerischer
Maßnahmen und innenpolitischer Sicherheitsverschärfungen
und Grundrechtseinschränkungen herhalten.
Die Unterteilung in Kulturkreise ist hanebüchener Unsinn:
Wahrscheinlich sind die Unterschiede in Verhalten,
Bildung und Einstellungen zwischen einem istanbuler
Arbeiter, einer damaszener Intellektuellen und einem
palästinensischen Bankangestellten ungefähr genau so
groß, wie die zwischen einem deutschen Schrebergärtner
und einer Rechtsanwältin in Teheran. Innerhalb eines
vermeintlichen Kulturkreises und auch innerhalb des Islams
gibt es unzählige verschiedene Strömungen, so wie
es Bewegungen gibt, die mit Religion gar nichts am Hut
haben. Zudem sind diese Kulturkreise in gegenseitiger
Beziehung entstanden, sei es durch die Prägung der Griechen
von den alten Ägyptern, die maurische Herrschaft
über Spanien, die Kreuzzüge oder den Kolonialismus. Ist
ja nicht so, als hätte es eine Mauer gegeben…
My culture is better than yours …
Die geostrategische Unterteilung der Welt dient jedoch
verschiedenen Zwecken. Der postulierte Gegensatz zwischen
„vormodernem, patriarchalem, antiaufklärischem“
Islam und dem „aufgeklärt-demokratischen, liberalen
und egalitären“ Westen dient dabei einmal der Selbstvergewisserung
westlicher Staaten als „bessere“ Kultur.
Dabei kann der Islam verschiedenen „VerteidigerInnen
der Ordnung“ als Feindbild dienen, er eignet sich sowohl
für LeistungsfanatikerInnen, die die fehlende Produktivität
der dort lebenden Menschen beklagen, als auch für
ChristInnen, die die christlichen Werte bedroht sehen,
als Projektionsfläche. (Vermeintliche) FeministInnen wie
Alice Schwarzer, die Frauen als passive Opfer des homogen
gedachten Islam darstellen, und humanitäre InterventionistInnen
und VerfechterInnen von Demokratie,
instrumenteller Aufklärung und Säkularismus wollen
den Staaten (im Zweifelsfall mit allen Mitteln) die Demokratie
bringen. Das Feindbild Islam ist dabei nicht wie
das alte Feindbild der UDSSR nationalstaatsbezogen, mit
Ausnahme des Iran, sondern stellt ein amorphes Gebilde
aus Terrornetzwerken, kulturell gedeuteten Eigenheiten
und Bevölkerung, die sich in religiös determinierter Unmündigkeit
und Unvernunft befindet, dar.
Die Bewegungen und Strömungen des politischen Islam,
die in ihrer fundamentalistischen Ausprägung tatsächlich
den Westen als Gegner sehen und die Welt unter
islamistische Herrschaft stellen möchten, verdienen
eine weitergehende Auseinandersetzung und sollen keineswegs
verharmlost werden. Sie sind aber nicht Thema
dieser Auseinandersetzung. Uns geht es hier um die kulturellen
Zuschreibungen, die unterschiedslos allen MuslimInnen
unterstellt werden.
„Sollen sie doch dahin gehen, wo ihre (Groß-)
Eltern herkommen“ (Ebermann und Trampert)
Innerhalb Deutschlands gibt es eine zunehmende Umdeutung
sozialer zu kulturellen Konflikten: Angeblich
verursachen Menschen mit Migrationshintergrund, egal
wie lange sie oder ihre Eltern oder Großeltern hier leben,
Probleme, weil ihre „Kultur“ eine andere und mit der vorgestellten
deutschen Leitkultur nicht vereinbar ist.
Das betrifft in letzter Zeit besonders häufig Menschen
muslimischer Religionszugehörigkeit. Oft als GastarbeiterInnen
ins Land gekommen, entschieden sie sich
trotz Unwillens seitens der deutschen Regierung dazu,
in Deutschland zu bleiben. Ihre Kinder und Enkel sind in
Deutschland geboren, werden aber nichtsdestotrotz als
MigrantInnen und damit als Fremde gesehen werden.
Staatlicher- und wirtschaftlicherseits wurden sie lediglich
als billige, temporäre Arbeitskräfte begriffen, sie
dienten als Konjunkturpuffer und „sozialer Fahrstuhl“
für ihre deutschen
KollegInnen. Es
wurden verschiedene
Maßnahmen
ergriffen, um bestmögliches
und ledigliches
Wirken
als Arbeitskraft sicher
zu stellen, so
wurden sie nach
dem Gesundheitszustand
selektiert,
sollten keine Familie
haben und es
gab ein rigoroses
Rotationsverfahren,
um endgültige
Einwanderung zu
verhindern. In logischer
Folge beschränkten
sich die
staatlichen Aktivitäten
auf arbeitsmarkpolitische
und
einwanderungsrechtliche
Regelungen,
Initiativen
zur gesamtgesellschaftlichen
und
sozialen Teilhabe
wurden hingegen
nicht ergriffen. Statt dessen versuchte man durch „Rückführungsförderung“,
die MigrantInnen wieder aus der
deutschen Solidargemeinschaft hinaus zu komplimentieren,
nachdem viele von ihnen mit dem Niedergang
und der Umstrukturierung der sie beschäftigenden Industrien
und der postfordistischen Arbeitsorgangisation
ihren Job verloren und prekarisiert wurden. Migration
war und ist aus staatlicher Sicht eine Kosten-Nutzen-
Rechnung und unterliegt damit der Logik des Kapitalismus:
wer nützlich ist und profitbringend eingesetzt werden
kann darf kommen und soll bleiben, alle anderen
können sich ein besseres Leben in Deutschland oder anderen
Staaten der EU abschminken.
Wolfgang Straubhaar, ein Wirtschaftsprofessor, der
auch im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für
Integration und Migration sitzt, fordert gar, die Sozialhilfe
vom Wohnsitzland auf das Herkunftsprinzip umzustellen
– türkische Migranten sollen, wenn sie auf staatliche
Hilfe angewiesen sind, um zu überleben, diese auf
dem Niveau der Türkei erhalten. Das gelte ja schließlich
auch für importierte Waren, die ja auch nicht auf dem
Lohnniveau deutscher Löhne hergestellt würden. Hier
zeigt sich deutlich, wie Menschen als Arbeitskräfte, und
damit lediglich als Waren verhandelt werden!
We don‘t need no integration!
Heute wird besonders den ehemaligen „GastarbeiterInnen“
aus der Türkei und ihren Familien vorgeworfen,
die Möglichkeit der Partizipation nicht selbst gegenüber
der Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft erkämpft
zu haben: kollektive Integrationsunwilligkeit, fehlendes
Demokratieverständnis und vormoderne Familienstrukturen
wird ihnen angelastet, bis hin zu präventivem Terrorismusverdacht
gegenüber MuslimInnen. So mit Vorbehalten
belegt, müssen sie sich erst mal anstrengen,
um überhaupt als „zu Deutschland gehörig“ anerkannt
zu werden. Nämlich sich gefälligst integrieren!
Als grundsätzliches Prinzip gelten sozialchauvinistische
Leistungsforderungen, was sich unter anderem
in der Kopplung von Aufenthaltsgenehmigungen an die
Möglichkeit zur Selbstfinanzierung zeigt: Es ist ja wohl
das mindeste, dass MigrantInnen wenigstens fürs Bruttoinlandsprodukt
nützlich sind und nicht dem Staat mit
der Produktion von „Kopftuchmädchen“ auf der Tasche
liegen. Dumm nur, dass sie dabei dann deutschen Arbeitslosen
die Arbeitsplätze wegnehmen…
Es ist nahezu unmöglich für MigrantInnen, es der
Mehrheitsgesellschaft recht zu machen. Dafür muss man
besser deutsch sprechen als die meisten Deutschen, Abitur
haben, aber trotzdem einen Job machen, den sonst
keiner will, jeden Samstag den Rasen mähen und selbstverständich
Schweinefleisch essen. Und nur eineR muss
negativ auffallen, damit alle unter Rechtfertigungsdruck
geraten. Als FremdeR, der/die vom Wohlwollen der guten
Deutschen lebt, darf man sich trotzdem immer fühlen.
Jedenfalls scheinen sich viele Deutsche Integration
so vorzustellen. Sie wurde sogar in der Neufassung des
Zuwanderungsgesetztes 2007 als „kulturelle Integration“
festgeschrieben. …