Über die Sparpolitik, eine absurde Gesellschaft und wieso wir sie verändern müssen.
Die Stadt Göttingen hat, wie viele andere Kommunen auch, finanzielle Probleme und muss sparen. Deshalb wird der Rotstift angesetzt: Bei der Unterstützung von Jugendzentren und Umweltverbänden, bei der Unterstützung von Geflüchteten, beim Schulessen und der Kinderbetreuung.
Aber warum muss eigentlich gespart werden? Ist es nicht absurd, dass obwohl die Produktivität immer weiter steigt und auf stofflicher Ebene alles da ist, was wir zum Leben brauchen, immer wieder an Sozialleistungen gespart wird?
Das ist absurd, aber es liegt daran, dass wir in einer ziemlich absurden Gesellschaft leben, nämlich dem Kapitalismus. Im Kapitalismus geht es eben nicht darum, das was wir zum Leben brauchen auf eine sinnvolle und nachhaltige Art und Weise herzustellen und bedarfsgerecht zu verteilen. Sondern es geht ums Profite-Machen, um die Verwertung von Kapital, also darum aus Geld immer mehr Geld zu machen. Von diesem Hamsterrad der Kapitalverwertung ist auch der Staat abhängig, denn er muss dafür sorgen, dass die eigene Wirtschaft brummt, Arbeitsplätze schafft und Steuereinnahmen generiert, denn diese machen den Staat erst handlungsfähig. Wenn die Wirtschaft nun schwächelt, ist das für den Staat also ein Problem. Die verschiedenen Parteien versuchen dann mit unterschiedlichen Strategien ihr gemeinsames Ziel – das Wirtschaftswachstum anzukurbeln – umzusetzen. In der nun gescheiterten Ampel-Bundesregierung haben sich in diesem Ideen-Wettbewerb der narzisstische Neureiche Christian Lindner und seine FDP mit ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik durchgesetzt. Diese beinhaltet unter anderem, die Gewerbesteuer zu senken. Die Hoffnung dabei ist, dass die Unternehmen, wenn sie weniger Steuern zahlen müssen, wieder mehr investieren.
Die Gewerbesteuer ist aber auch eine Haupteinnahmequelle der Kommunen. Ihnen brechen also Einnahmen weg, was zusammen mit inflationsbedingten höheren Ausgaben etwa bei Bau- und Energiekosten, zu wachsenden Haushaltslöchern führt – so auch in Göttingen.
Sparen will die Stadt nun unter anderem in der Kinder- und Jugendarbeit: Jugendzentren in freier Trägerschaft sind akut bedroht, ebenso die Finanzierung des Stadtjugendrings und der Frauen- und Mädchenarbeit von kore e.V.. Außerdem sollen KiTa-Beiträge und die Preise für Essen in KiTas und Schulen erhöht werden und die Ganztagsbetreuung in den KiTas der freien Träger eingschränkt werden. Gespart werden soll auch bei der Unterstützung von Geflüchteten und von Umweltverbänden.
All dies sind Bereiche, in denen sich nicht direkt Profit machen lässt. Kapital verwerten bzw. Gewinn machen lässt sich eben besser mit der Produktion von Autos und Waffen und weniger damit, Jugendlichen mit wenig Kohle Räume zu bieten oder Empowerment für Frauen und Mädchen zu organisieren. Diese Tätigkeiten gehören zum Bereich der Reproduktion, der anders als der Bereich der Produktion nicht direkt marktförmig organisiert wird, sondern vom Staat, von zivilgesellschaftlichen Initiativen oder Privathaushalten übernommen wird. Reproduktionstätigkeiten, wie etwa Bildung und Kindererziehung, sind im Kapitalismus einerseits notwendig, um überhaupt arbeitsfähige Menschen heranzuziehen, mit deren Arbeit sich dann Profit machen lässt. Andererseits ist die Reproduktion aber immer Kostenfaktor. Ausgaben im Reproduktionsbereich zahlen sich nicht direkt wirtschaftlich aus. Deshalb wird hier in Krisenzeiten als allererstes gespart.
Die Verringerung der Ganztagsbetreuung in KiTas zeigt sehr deutlich, welche Rolle Reproduktionsarbeit im Kapitalismus spielt: Um weiterhin Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung zu haben, sollen Eltern künftig auch in den freien Trägern bescheinigen, dass sie ganztags arbeiten gehen. Kinderbetreuung ist also nur dafür da, dass Eltern arbeiten gehen können und nicht dafür, dass die Kinder Zeit mit anderen Gleichaltrigen verbringen oder die Eltern auch mal ein eigenes Sozialleben haben geschweige denn sich gesellschaftlich oder politisch engagieren können. Die Reproduktion ist also stets der Produktion von Profit untergeordnet.
Darin unterscheiden sich übrigens die Vorschläge anderer Politiker*innen, wie mit der Krise umzugehen sei, nicht vom neoliberalen Spardiktat Christian Lindners und der Stadt Göttingen. Auch wer fordert, dass die Wirtschaftskrise durch neue Staatsinvestitionen zu lösen sei anstatt durch Steuersenkungen für Unternehmen und Einsparungen beim Sozialen, stellt die grundsätzliche Priorisierung des Profite-Machens nicht in Frage. Denn diese ist im Kapitalismus alternativlos. Alles, was an Sozialem, an Jugendkultur, an Bildung, an Umweltschutz und so weiter über die Notwendigkeiten der Reproduktion des Kapitals hinausgeht, wird im Kapitalismus immer ein reiner Kostenfaktor bleiben.
Uns aber geht es um das gute Leben für alle. Das bedeutet: Niemand sollte in Armut leben und sich über noch weiter steigende Kosten wie durch die Erhöhung des Essensgeldes Sorgen machen müssen. Dazu gehört auch eine gute, gesellschaftlich organisierte Kinderbetreuung. Dazu gehören Räume wie die von kore e.V., in denen Frauen, Mädchen und Queers lernen können, sich gegen das Patriarchat zu wehren. Und dazu gehören Räume wie das Juzi, in denen wir uns solidarisch begegnen und Kulturangebote wie politische Veranstaltungen selbst organisieren können.
All das braucht es, gerade angesichts der Bedrohung durch die AfD und andere Rechte. Denn einerseits verstärkt die Kürzungspolitik soziale Ungleichheit und Unsicherheiten, die von der AfD rassistisch instrumentalisiert werden. Und andererseits braucht es Räume der Selbstorganisation und der Solidarität, in denen wir aufhören können, vereinzelte Konkurrenz-Subjekte zu sein. Denn solange wir uns alle gegeneinander durchsetzen müssen, werden auch immer Ideologien der Ungleichheit gedeihen. Deshalb müssen wir diese Räume gegen die Sparpolitik der Stadt verteidigen und für ihre Ausweitung kämpfen. Anstatt das gute Leben immer wieder den Zwängen des Kapitals unterordnen zu müssen, wollen wir eine Welt, in der wir unser Leben in allen Bereichen kollektiv, selbstorganisiert und solidarisch miteinander gestalten. Wir nennen das antiautoritären Kommunismus.
Die Sparpolitik der Stadt ist nicht alternativlos. Wenn für den Staat des Kapitals die Reproduktion immer nur ein Kostenfaktor ist, an dem er in Krisenzeiten spart, müssen wir die Kosten für die Sparpolitik in die Höhe treiben. Die Politik muss sich zwar immer an den Erfordernissen des Kapitals orientieren, aber sie kann auch durch unseren Widerstand von der Straße beeinflusst werden. Kämpfen wir also als breite Bewegung gegen die soziale Kälte der Stadt und machen Broistedt und Co. die Hölle heiß!