Antikapitalismus

news2 netz_Seite_1Hier findet ihr das PDF der Redical Times Kampf der Gewalt der falschen Freiheit! (November 2009). Unten ist der Leitartikel der Ausgabe zu lesen.

Alternative text – include a link to the PDF!

 

Kapitalismus und Gewalt – ein Widerspruch?

Der Todestag der Antifaschistin Conny Wessmann jährt sich in
diesem November nun zum 20. Mal. Die darauff olgenden politischen
Aktionen in Göttingen wie auch das bundesweite Echo
waren in Anbetracht der gesellschaftlichen Lage – Deutschland
machte sich aus Sicht der Linken gerade auf, ein imperialistisches
„4. deutsches Reich“ zu werden – und dem Tod einer
Mitstreiterin in ihrer Heftigkeit nur verständlich. Der Bezug,
den die radikale Linke wählte, schien den Staat jedoch nur als
übermächtigen „Sparringspartner“ und als „Schweinesystem“
zu sehen, in dem dieser auf seine Rolle als Gewaltmonopolist in
Form einer prügelnden und mordenden Polizei reduziert wurde.
Die wesentlichen Teile der restlichen BürgerInnen, die keine
linke Sozialisation genossen hatten und nicht Teil der 20.000
waren, konnten – wie so oft – die Gegnerschaft der radikalen
Linken gegen den Staat als Träger von Gewalt kaum nachvollziehen.
Deshalb ist es notwendig den bürgerlichen Staat in seiner
Rolle als Träger des Gewaltmonopols genauer zu bestimmen,
fernab von Diskursen über Polizeigewalt bei verfassungsrechtlich
garantierten Versammlungen. Denn die Staatsgewalt ist
viel umfassender in ihrer Durchsetzung. Zudem erscheint der
Staat mit seinem Gewaltmonopol als positiver Bezugspunkt
für die BürgerInnen. Das Ganze wird im Namen der Gewaltfreiheit
und als Auftrag des Staates schlechthin vermittelt und
das obwohl der Staat der einzige ist, der in dieser Gesellschaft
dauerhaft und universal Gewalt anwendet und auch rechtlich
anwenden darf.
Dass dieser positive Bezug nicht staatliche Propaganda ist,
sondern vielmehr in den Verhältnissen selbst also im Kapital, im
Staat und in der Rechtsform eingeschrieben ist, wird dabei von
Linken oft missinterpretiert. Vielmehr hegen die BürgerInnen
zu ihrem Staat ein positives Verhältnis. Insbesondere wenn der
Staat in Anspruch nimmt das Leben seiner BürgerInnen und ihre
„allgemeinen Interessen“ so zu organisieren, dass sie besonders
gut auf dem Weltmarkt abschneiden. Gleichzeitig gibt er ihnen
das Gefühl das Heft in Form der Demokratie selbst in der Hand
zu haben, um das Recht mit seinen staatlichen Strukturen und
Gesetzen durchzusetzen. Dies forciert der bürgerliche Staat mit
aller Gewalt und begründet es mit dem Versprechen, dass es
der Unversehrtheit und dem Schutz seiner BürgerInnen diene.
Für diesen Prozess werden StaatsbürgerInnen benötigt, die aber
gesellschaftlich eine Doppelrolle einnehmen. In diesem Sinne
kann dies nur bedeuten, den Tunnelblick auf den Staat und seine
off ensichtlichen Gewaltmomente zu verlassen und in eine
gesamtgesellschaftliche Perspektive zu seiner Abschaff ung zu
verwandeln. Denn dieser Staat ist nicht ohne die warenproduzierende
Gesellschaft mit ihren bestimmten Ideologien der kollektiven
Identitäten abzuschaff en.
Der Staat als gesellschaftliches Verhältnis stellt sich seinen BürgerInnen
als Schutzinstanz im Inneren und Äußeren vor Gewalt
dar. Dem liegt die Vorstellung zu Grunde, dass „der Mensch
dem Menschen ein Wolf“ sei. Dies schließt ein, dass er alleine
dafür verantwortlich ist, dass auf seinem Territorium niemand
Gewalt gegen andere Menschen oder auch fremdes Eigentum
ausübt. Die BürgerInnen delegieren dabei die Gewalt an den
Staat. Diese Tatsache scheint wohl die geläufi gste Begründung
für einen Staat und seine Notwendigkeit zu sein. Der Staat und
seine Institutionen befi nden sich bei diesem Auftrag in einem
Widerspruch. Es wird in diesem Kontext nämlich zwischen Gewalt
und Gewalt unterschieden. Die Gewalt der nicht autorisierten
einzelnen StaatsbürgerInnen sei in diesem Verhältnis
zu verurteilen. Der Staat selbst kann jedoch (Staats-)Gewalt
ausüben. Selbst bei der Gewalt an sich wird nicht diff erenziert.
So wird diese oft nur als körperliche verstanden. Strukturelle
und damit materielle Gewalt wird dagegen internalisiert und
steht nicht im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen.
So weiß der Staat in seiner spezifi schen Gestalt, Gewalt
und Gewaltlosigkeit zu unterscheiden und dementsprechend
zu handeln.

„Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt“

Strukturelle Gewalt, die vom Staat und der internalisierten
Rechtsordnung ausgeht, wird als latentes Bedrohungsverhältnis
im institutionellen Sinne verstanden. Durch Gesetze und
staatliche Einrichtungen wird den StaatsvertreterInnen zugestanden
Gewalt anzuwenden, wenn die StaatsbürgerInnen
bestimmten Pfl ichten nicht nachkommen. Z.B. die Pfl icht einen
Zwangsdienst im Sinne von Wehr- oder Zivildienst abzuleisten,
Steuern zahlen zu müssen usw. Staat und Kapitalismus werden
durch gesellschaftliche Praxis gebildet und reproduziert.
Jedoch fasst der Begriff der strukturellen Gewalt weit mehr
als nur Gewalt staatlicher Herrschaftsverhältnisse. So kann
der Zwang zur Lohnarbeit darunter gefasst werden, aber auch
unterschied lichste Formen der physischen und psychologischen
Diskriminierung, wie z.B. Homophobie, Sexismus usw.
Der stumme Zwang der Verhältnisse, der unhintergehbar
scheint, besteht darin, dass die Menschen gezwungen werden
ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um ihre Bedürfnisse befriedigen
zu können. Tun sie dies nicht, wird ihnen ein materiell erfülltes
Leben verweigert, da sie nicht über die notwendigen fi nanziellen
Mittel verfügen. Da diesem Zwang alle BürgerInnen unterstehen,
treten sie sich als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt
gegenüber. Der Staat, der nicht als monolithischer
Block zu denken ist, gewährleistet formal die „Spielregeln“
nach denen die wertvermittelte Tauschgesellschaft organisiert
wird und sich organisiert. Der Staat ist nicht einfach eine
„Endboss“institution, die über das Leben seiner BürgerInnen
entscheidet, sondern ein von der Gesellschaft erdachter und
gesellschaftlich vermitteltes Verhältnis. Auch wenn der so genannte
Sozialstaat noch existieren mag, so sind dennoch prekäre
Lebensverhältnisse damit verbunden. Die kapitalistische
Gesellschaft und der demokratische Staat sind also durchaus
gewaltförmig. Die Gewalt wirkt meist aber nicht absolut auf
die BürgerInnen ein, sondern besteht als beständige Option
und als Drohung. Sie ist vielmehr unmittelbar und kann jederzeit
wahr gemacht werden. Gewalt entsteht und vervielfältigt
sich jenseits des Bullenknüppels und ist damit unmittelbar in
den Verhältnissen angelegt, die die Menschen selbst hervorbringen.

Ausnahmezustand? Normalzustand!

Die politische Form der Demokratie und der Rechtsstaat gelten
als unvereinbar mit jeder Form von Gewalt. Zudem weiß
das bürgerliche Subjekt, dass die Gewaltfreiheit auch nur mit
dieser Ordnung zu haben ist. Die Gewaltfreiheit wird von den
StaatsbürgerInnen erwartet. Diese Erwartung schließt die Zustimmung
der legalen staatlichen Gewalt mit ein. Sie ist die
Bedingung, um als vollwertiges Mitglied in der bürgerlichen
Gesell schaft akzeptiert zu werden. Der Staat selbst spart in allen
Defi nitionen der Gewalt seine eigene jedoch aus. In diesem
Widerspruch garantiert der demokratische Staat weiterhin …